Vom 8. bis 10. September 2023 stand der Engadin Airport ganz im Zeichen faszinierender Mobilität. Es landeten historische Flugzeuge auf dem höchstgelegenen Flughafen Europas, Rennmotoren brüllten, Mercedes-Benz Heritage tischte feinstes Tafelsilber auf und Porsche Diesel-Traktoren aus Südtirol und Deutschland lieferten sich nach dem Le Mans-Start eine Kopf-an Kopf-Duell.
Die Auftaktveranstaltung der Internationalen St. Moritzer Automobilwoche hatte viele Facetten. Noch bei leichtem Nebel nahm der nur 34 PS starke Porsche Berlin-Rom-Wagen aus dem Jahr 1938 am Start Aufstellung, gefolgt von der 180 PS starken Berlin-Rom-Ausführung des Hauses Mercedes-Benz, gebaut auf Basis eines 540 K. Die aerodynamisch geformten Karosserien begeisterten die Zuschauer und überliefern den konstruktiven Grund dieser Fahrzeuge. Sie sollten damals auf der neu gebauten Autobahn mögliche Höchstgeschwindigkeiten und dadurch möglichst schnelle Reisegeschwindigkeiten aufzeigen. Durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs aber, musste das Rennen angesagt werden. Beim traditionellen Sprint in St. Moritz aber kamen diese faszinierenden Zeitzeugen nochmals voll zur Geltung. Überhaupt war das Spektrum der Automobile sehr groß. Es reichte vom nur rund fünf Pferdestärken starken Benz Velo aus dem Jahr 1894 bis hin zum brandaktuellen Aston Martin Valkyrie mit seinen rund 1.150 PS Systemleistung. Durch einen Gleichmäßigkeitsmodus, konnte aber jeder gewinnen. Dazu wurde beim Sprint über 1000 Meter die Differenzzeit zwischen zwei Wertungsläufen ermittelt. Gewonnen hat der Teilnehmer mit der geringsten Abweichung. In der Vorkriegsklasse meisterte diese Disziplin der Schwede Glen Billquist mit seinem 75 Jahre alten Gleenster S-12 Monoposto am Besten. Christian Rühle siegte in der Nachkriegsklasse mit seinem De Tomaso Pantera. Bei den Motorrädern hatte Marcus Hoefken mit seiner im Jahr 1938 gebauten DKW 250 „Ladepumpe“ weniger als eine Sekunde Abweichung zum Zweitplatzierten. In der Nachkriegsklasse gab Adrien Lombard mit seiner Ducati Monster 1200S am Gleichmäßigsten Gas. Überhaupt machte es diese Mischung aus Motorrädern und Automobilen aus, welche in selbst festgelegter Reihenfolge die insgesamt rund 1850 Meter lange Piste einzeln entlang preschten. Jeder Teilnehmer faszinierte, durch die Geschichte des Fahrzeugs, oder durch die schiere Leistung. Bernd Becker aus Idar-Oberstein brachte beispielsweise eine Porsche 910 an den Start, den er bereits seit 55 Jahren jährlich im Renntempo bewegt. Mit dem Ferrari 512 von 1972 und einer Lola T 70 von !968 traf es auf dem Samedan Airport sogar auf Konkurrenten von früher. Ein eindrucksvolles Display an Le Mans-Rennwagen, zum 100-jährigen Jubiläum des Langstrecken-Klassikers.
Als Mercedes-Benz den Sauber C 9 auf die Flugbahn rollte, stieg die Spannung. Bernd Mayländer, der Pace Car-Fahrer aller Formel 1 Rennen weltweit, war nach St. Moritz gereist, um dem Le Mans-Siegerwagen von 1989 die Sporen zu geben. Doch auch für den Profi war es schwierig, die über 700 PS des Gruppe C-Rennwagens auf die Straße zu bringen. Nach drei Läufen aber strahlte Mayländer und war überglücklich: „Was für ein Erlebnis - und dieses Ambiente. Darf ich wieder kommen?“
Beim Kilomètre Lancé 2023 konnten auch Fragen beantwortet werden, welche Petrolheads nunmal beschäftigen: Sind Automobile oder Motorräder schneller? Letztes Jahr war es ein BMW-Motorrad. Dieses Jahr aber war der Aston Martin Valkyrie nicht zu schlagen, 19,5 Sekunden reichten vom Sprint von Null auf die 1.000 Meter. Das Hypercar zeigte sich von der dünnen Höhenluft sichtlich wenig beeindruckt und markierte einen neuen Streckenrekord. Zur großen Überraschung der Zuschauer und Teilnehmer gleichermaßen gab sich ein elektrifizierter Porsche 911 aus dem Jahr 1983 nur um eine Sekunde geschlagen. Alternative Antriebskonzepte sind nämlich beim Mobilitäts Festival auf dem Engadin Airport nicht nur willkommen, sondern erwünscht, wie Veranstaltungsleiter Tobias Aichele betont.
Die Publikumslieblinge des Kilomètre Lancé hatten aber nichts mit Leistung und alternativen Antriebskonzepten zu tun. Es waren die 15 Porsche Diesel-Traktoren, welche teilweise auf eigener Achse aus Südtirol und Deutschland ins Engadin gekommen waren, um sich auf dem Flugfeld mit einem Le Mans-Start zu messen. Dazu standen sich Fahrzeuge und Fahrer gegenüber. Nach dem Senken der Fahne durch das Flag-Girl sprinteten die Piloten zu Ihren Traktoren, starteten und fuhren los. Die Zuschauer jubelten ihnen zu und mit einer Minute und fünf Sekunden auf den Kilometer konnte der schnellste Traktor-Fahrer Europas ermittelt werden.
Eine Jury um Professor James Kelly vergab den Designpreis „Driven by Design“, bei dem alle Teilnehmer bei voller Fahrt bewertet wurden. Das Votum der fünfköpfige Jury war einstimmig: Gewonnen hat der filigrane Lotus Eleven aus dem Jahr 1957 von David Martin, der extra zur Internationalen St. Moritzer Automobilwoche aus den USA angereist war. Auch bei den Motorrädern war die Jury mit Edgar Heinrich, Designchef BMW Motorrad, kompetent aufgestellt. Gewonnen hat die 1972 gebaute Harley-Davidson XR 750 von Matthias Korte. Erstmals vergab die Jury auch einen Designpreis für die historischen Flugzeuge. Hier fiel die Wahl auf die Mustang von 1947, die bereits am Freitagnachmittag faszinierte, als diese mit seiner gewaltigen 24 Liter-Maschine auf dem Engadin Airport landete. Überhaupt nehmen die historischen Flugzeuge beim Kilometre Lance zunehmend eine zentrale Rolle ein. Kunstflieger Nils Hagander verzauberte die Zuschauer in der Mittagspause mit einer Showeinlage. Seine Pitts Spezial wurde 1969 für den Kunstflug gebaut.
Fotos: Dino Eisele und Julian Reichl, Kilomètre Lancé